Vom Navigieren zum Mitschwingen – Das Neuroresonante Prozessnavigationsmodell (NrPNM) als neue Grundlage integrativer Psychotherapie
Wie Prozesslogik und Resonanzlogik zusammenfinden – und warum daraus ein neuer, verkörperter Humanismus entsteht.
Autor: Wanja Kunstleben
Ursprung im hochaffektiven Feld
Das Prozessnavigationsmodell (PNM) entstand nicht am Schreibtisch, sondern im Raum zwischen zwei Menschen – im hochaffektiven Feld der Paartherapie. Dort, wo Emotionen in Sekundenbruchteilen kippen können, zeigte sich die Notwendigkeit, Beziehung dynamisch zu navigieren: zwischen Halt und Klärung, zwischen Nähe und Distanz, zwischen Regulation und Tiefe.
Aus dieser Praxis heraus entstand ein Modell, das helfen sollte, intensive Prozesse nicht nur zu überstehen, sondern zu verstehen.
Das PNM beschrieb zunächst, wie sich therapeutische Prozesse entlang dreier Tiefungsdimensionen entfalten – Regulation, Klärung und Intimität – und wie Therapeut*innen lernen können, diese Bewegungen wahrzunehmen, zu steuern und zu begleiten. Daraus entwickelte sich eine prozesslogische Grundlage für Psychotherapie: Timing, Tiefung und Navigation als Kernkompetenzen (Kunstleben, 2025). Mit der Zeit zeigte sich jedoch, dass die Prozesslogik noch von einer tieferen Ordnung getragen wird: der Resonanzlogik.
1. Prozesskompetenz: Navigation als Basis
Das PNM ordnet Psychotherapie dort, wo sie tatsächlich geschieht – im Moment der Navigation. Navigation bedeutet, die Prozesslogik ins Zentrum zu stellen, ohne die Strukturlogik zu verwerfen. Die Prozesslogik liest den Prozess in Echtzeit und orientiert ihn gleichzeitig an drei Foki (Thema, Tiefung und Integration) und den Tiefungsdimensionen (Regulation, Klärung, Intimität).
Wenn die Strukturlogik der Psychotherapie einem dicken Straßenatlas gleicht – detailreich, mit Höhenlinien, Streckenangaben und topografischer Übersicht –, dann ist die Prozesslogik ihr Google Maps.
Der Atlas zeigt das Gelände, doch er schweigt über Verkehr, Witterung, Staus, spontane Umleitungen. Navigation aber geschieht in Echtzeit: Sie erfordert Wahrnehmung, Entscheidung, Anpassung und Resonanz.
Das PNM ist damit das Google Maps der Psychotherapie – ein Instrument, das uns erlaubt, den therapeutischen Prozess in Echtzeit zu lesen. Wer damit zu arbeiten beginnt, erlebt häufig einen Aha-Moment: Plötzlich wird sichtbar, wo wir uns im Prozess befinden, welche Richtungen sich öffnen, welche Umwege drohen.
Dieser „Google-Maps-Moment“ verändert den Blick auf Therapie grundlegend.
Prozesskompetenz bedeutet, psychische Bewegungen im Moment zu lesen und zu lenken, ohne sie zu kontrollieren. Sie beruht auf der Fähigkeit, zwischen Regulation, Klärung und Intimität zu unterscheiden und die jeweils passende therapeutische Rolle einzunehmen: haltend in der Regulation, sortierend in der Klärung, bezeugend in der Intimität. Diese Rollen sind keine Methoden, sondern Resonanzpunkte innerhalb des Prozesses.
Wir alle kennen diese Qualitäten im Raum: die dichte, manchmal erschöpfende Arbeit der Regulation – das Ringen um Halt, Atem und Boden; die wache, oft fließende Dynamik der Klärung – voller Bewegung, manchmal überdreht, manchmal klarsichtig und fokussiert, manchmal verkopft; und schließlich jene kostbaren, manchmal verletzlichen Momente der Intimität – wenn der Raum still wird, das Herz sich öffnet und etwas Größeres anwesend ist. Diese emotionalen Landschaften sind uns vertraut, doch ihre Prozesslogik bleibt oft unbenannt. Das PNM macht sie sichtbar – als Bewegungsachsen, die sich in Echtzeit verschränken und navigieren lassen.
Die Prozesslogik folgt einer einfachen, aber tiefen Formel: ausreichende Regulation ist die Voraussetzung für Klärung – ausreichende Klärung eröffnet Intimität (PNM-Navigationsformel).
In der Praxis ist das oft der Moment, in dem Therapeut*innen plötzlich verstehen, warum eine Intervention nicht trägt: Es war noch keine ausreichende Stabilität da. Eine Deutung, die zu früh kommt, kann ein System überfordern; ein Halt, der zu lange bleibt, kann Entwicklung bremsen. Mit der Prozesslogik entsteht ein inneres Navigationssystem. Wir spüren, wann Stabilisierung gebraucht wird, wann Klärung möglich wird und wann Resonanz sich öffnet. Das PNM zeigt, wie wir die Marker des Prozesses an diesen Schwellen lesen und mit welchen Interventionen wir darauf antworten können – regulierend, klärend oder intimitätsorientiert. So stabilisiert sich der Prozess, statt zu stagnieren.
Gleichzeitig ist die Arbeit mit dem PNM nicht nur „Prozess“ im luftleeren Raum. Über den Themenfokus und den Integrationsfokus wird der Prozess eingebunden und geerdet.
Der Integrationsfokus als integraler Bestandteil der Prozessarbeit legt die Rückbindung der Therapieschritte an innere und äußere Beziehungen, Alltag und Struktur an.
Der Themenfokus bindet ein, was im Moment im Vordergrund steht – aktuelle Belastungen, Symptome und Lebenskontexte des Patienten – und verschränkt den Prozess mit den thematischen Hintergrundebenen, wie Schwellensituationen, Beziehungsdynamiken und biografischen Einflüssen. So bleibt der Prozess kontextsensibel, geerdet und anschlussfähig an das konkrete Leben (→ Prozesskompetenz als Herzstück therapeutischer Wirksamkeit).
Durch den Überblick und die Klarheit, die wir im Navigieren gewinnen, entsteht Leichtigkeit und Sicherheit – für Therapeutinnen wie Patientinnen gleichermaßen.
Eine Patientin spricht von Schuldgefühlen und verliert den Boden; statt inhaltlich zu deuten, senkt der Therapeut die Stimme, verlangsamt die Atmung, lässt Raum – und spürt, wie der Blick wieder klar wird. Erst dann öffnet sich das Gespräch neu, diesmal tragfähiger, resonanter.
In diesem Navigationsfluss zeigt sich der Kern therapeutischer Wirksamkeit. Doch um den Prozess nicht nur zu steuern, sondern ihn wirklich zu verstehen, braucht es eine zweite Ebene: die Resonanz. Navigation ist Beziehung in Bewegung.
2. Resonanzkompetenz: Wenn Steuerung Beziehung wird
Resonanzkompetenz ist die Vertiefung und konsequente Weiterentwicklung der Prozesskompetenz. Sie entsteht, wenn Therapeut*innen nicht nur wissen, wo sie navigieren, sondern wie sie im Moment mitschwingen – wenn der Innenraum zum Resonanzorgan und der Beziehungsraum zur Schwingungsmatrix wird. Hier lernen wir, zu antworten, statt „etwas zu wollen“ – zu navigieren statt zu kontrollieren.
Resonanzorientierung entsteht, wenn affektive und neuronale Zustände als gemeinsame Schwingung verstanden werden: Der Körper spricht, das Gehirn antwortet – und umgekehrt. Damit aus Resonanzorientierung Resonanzkompetenz wird, verbindet das PNM das Lesen und Beantworten dieser Schwingungen mit der Logik und den Gesetzmäßigkeiten des Prozesses. Denn Resonanzorientierung ohne Prozesslogik verliert den Halt, mit der Ausrichtung am Prozess gewinnt sie Richtung und Sinn.
In der Resonanzlogik verändert sich die Funktion von Steuerung. Sie wird rhythmisch. Der therapeutische Prozess wird nicht mehr geführt, sondern synchronisiert. Der Fokus verschiebt sich von Intention zu Integration, von Intervention zu Synchronisation. Die Navigation bleibt – doch sie wird Beziehung. Mit dieser Haltung gewinnen wir eine neue Form von Wahrnehmungspräzision. Resonanzkompetenz bedeutet, die feinen Übergänge zwischen Aktivität und Offenheit, Ausdruck und Empfänglichkeit, innerer und äußerer Bewegung bewusst zu lesen und zu beantworten. Steuerung wird nicht aufgegeben, sondern verfeinert: Sie verwandelt sich in einen Tanz aus Antwort und Gegenantwort, aus Führen und Folgen.
Resonanzkompetenz ist keine Technik, sondern eine Haltung des Mitschwingens (Gendlin, 1996; Stern, 2004). Sie entsteht dort, wo das Verstehen des Prozesses in Kontakt bleibt mit dem Erleben des Moments – wo wir mitschwingen, ohne zu verlieren, und halten, ohne zu halten. An dieser Schwelle wird spürbar, dass Navigation erst durch Resonanz lebendig wird und Resonanz erst durch prozesslogische Einbindung Richtung findet.
Hier öffnet sich das Feld der Neuroresonanz – dort, wo Resonanz nicht nur gefühlt wird, sondern ihre Antwort getragen ist von einem feinen Verständnis für die Prozesslogik neurobiologischer Systeme, als Synchronisation zwischen affektiven und kortikalen Netzwerken.
In dem Moment, in dem Steuerung zur Schwingung zwischen zwei neuroresonanten Systemen wird, zeigt sich Psychotherapie in neuer Klarheit – als prozesslogisch geordnete Resonanzbewegung.
3. Die Logik der Resonanz – Wie Prozesslogik und Resonanzlogik sich gegenseitig tragen
Wenn wir die Prinzipien der Prozesslogik auf das Gehirn spiegeln, erkennen wir nicht nur strukturelle Parallelen. Das Gehirn als Resonanzorgan zu begreifen – und zu verstehen, wie es Resonanz organisiert – führt zu einem weitreichenden Schritt: Aus Resonanzorientierung entsteht Resonanzlogik. Wir beginnen zu sehen, dass Prozesslogik und Resonanzlogik ein gemeinsames System bilden. Die Prozesslogik beschreibt, wie Veränderung geschieht – in wiederkehrenden Bewegungen von Regulation, Klärung und Intimität. Die Resonanzlogik zeigt, warum diese Bewegungen tragen – weil sie auf Synchronie beruhen.
In jeder gelungenen therapeutischen Begegnung geschieht beides zugleich: Wir navigieren den Prozess, und wir stimmen uns ein. Die Logik der Navigation gibt der Resonanz Richtung, die Logik der Resonanz gibt der Navigation Tiefe. Wenn wir beides zusammendenken, entsteht eine Metasynchronie – eine Rückkopplungsschleife, in der Prozesslogik und Resonanzlogik sich gegenseitig tragen.
Und an dieser Schnittstelle von Beziehung und Biologie beginnen wir zu sehen, wie das Gehirn schwingt.
4. On a Brain Level – Die neuroresonante Architektur
Der Blick in den Spiegel der neuroresonanten Perspektive ist eine lautlose Erschütterung des Wiedererkennens: Plötzlich wird sichtbar, dass dort dieselbe Ordnung, dieselben Übergänge, dieselben Schwellenbewegungen wirken, die die Prozesslogik phänomenologisch beschreibt. Das Gehirn lebt den Prozess mit derselben Bewegung, mit der wir ihn therapeutisch begleiten: es ist kein Steuerungsorgan, sondern ein Resonanzorgan.
Das Gehirn zeigt sich nicht mehr als Maschine: es ist in seinem tiefsten Prinzip auf Synchronisation ausgerichtet, auf Antwort und Beziehung: es steuert nicht – es schwingt. Wenn wir im PNM der Resonanz bisher mithilfe der Prozesslogik eine Richtung geben konnten, so wird im Spiegel der Synchronisations- und Antwortstruktur des Gehirns etwas Neues erkennbar – die prozessuale Resonanzlogik des Bewusstseins. Oder anders ausgedrückt: die neuroresonante Grammatik des Gehirns wird lesbar.
Dieser Moment ist mehr als eine Entdeckung. Es ist ein Erdbeben: Neuroresonante Interventionen sprechen eine neue, feinjustierte Sprache. Die unmittelbare Ausrichtung an der neuroresonanten Struktur unseres Gehirns führt in eine neue Form der Verkörperung von Psychotherapie und Prozessnavigation.
Und es ist eine tektonische Erschütterung, in der sich eine neue Qualität der Berührung zweier Diskurse ausdrückt: Die Phänomenologie der Psychotherapie und die Neurowissenschaft beginnen, sich gegenseitig zu verstehen. Es ist ein Spiegelmoment, in dem beide Seiten einander erkennen: Die Phänomenologie des PNM verbindet erstmals die Strukturen des Gehirns in einer prozessualen Logik, während die Neurowissenschaft die Strukturen der neuronalen Resonanzbeziehung sichtbar macht, wodurch der Prozess der Bewusstseinsemergenz zum ersten Mal in dieser Klarheit lesbar wird. Das ist der Earthquake-Moment des NrPNM: die Synergie zweier Perspektiven, die sich vollständig spiegeln.
5. Die Entdeckung der Kopplungslogik (Mikroebene)
Bevor wir die großen Netzwerkarchitekturen betrachten, lohnt sich der Blick in die feine Binnenstruktur. Denn das, was sich später auf der Makroebene der neuronalen Systeme zeigt, beginnt hier – in der Mikroebene des Moments. Die gleiche Logik, die das Gehirn in großem Maßstab organisiert, wiederholt sich fraktalisch in jeder einzelnen Resonanzbewegung. Und wenn wir seine Prinzipien im Kleinen verstehen, können wir das Große leichter und differenzierter lesen.
Die Arbeit mit dem NrPNM ist wie die Entwicklung einer neuen, feineren Art der Bildgebung – und die Linse zoomt weiter hinein in die Mikrostruktur des Prozesses: Neurobiologisch werden Netzwerke oft binär beschrieben – aktiv oder inaktiv, expressiv oder rezeptiv. Doch Veränderung entsteht an den Schwellenpunkten: dort, wo ein System kippt, antwortet und sich neu organisiert – in den Kopplungsmomenten. Das PNM lehrt das Timing an diesen Schwellen, das NrPNM das feine Wie der Kopplungsführung – das präzise Lesen und Beantworten jener „dyadischen state shifts“, an denen neuronale, affektive und relationale Systeme gleichzeitig in Bewegung treten (vgl. Dumas et al., 2014). Solche Kopplungsmomente markieren Schwellen, an denen das gesamte System seine Richtung ändert – und eine neue Ordnung findet.
In der Praxis zeigt sich, dass die Qualität einer Kopplung nicht nur davon abhängt, wann sie geschieht, sondern wie offen sie gehalten wird. Jede Umschaltung braucht einen kurzen Moment innerer Suspension – einen mikrosekundengenauen Raum zwischen Ausdruck und Antwort. Dort entscheidet sich, ob das System in Resonanz geht oder reflexhaft zurückfällt.
Therapeutisch lässt sich diese Offenheit gezielt unterstützen: etwa durch kleine Einsteuerungssätze, die das System einladen, seine Steuerung vorübergehend loszulassen. Zum Beispiel:
„Ich sage jetzt ein paar Sätze, und du nimmst einfach das, was für dich passt. Alles andere lässt du vorbeiziehen. Ich spreche aus deiner Perspektive.“
Solche Sätze öffnen die innere Kupplung, ohne Kontrolle zu verlieren. Sie schaffen einen Zwischenraum, in dem neuronale Netzwerke und affektive Systeme wieder zueinander finden können – ein leiser Moment der Turn-Bereitschaft, in dem der Prozess neu schwingt.
Diese Öffnung geschieht neurobiologisch im anterioren präfrontalen Cortex (aPFC) – dem metakognitiven Zentrum, das die drei kortikalen Netzwerke (Salienz, Exekutive und Default Mode) miteinander verbindet und den Übergang zwischen Steuerung und Resonanz ermöglicht. Man könnte sagen: Der aPFC ist das Kupplungszentrum der Schwingung. In späteren Abschnitten wird seine Funktion im Prozess der Bewusstseinsintegration noch detaillierter beschrieben.
In Messdaten lassen sich Oszillationen sichtbar machen, aber die feine rhythmische Umschaltung – der eigentliche Schwellenpunkt der Kopplung – bleibt oft verborgen. Klinisch ist er spürbar: Der Körper entlädt, der Atem wechselt, der Blick weitet sich. Das Weichwerden, der tiefe Atemzug, der auf eine parasympathische Entladung folgt ist der Scheitelpunkt: Das System wendet, das Netzwerk schaltet von Expression zu Rezeption – der rezeptive Turn. Auf der Gegenseite der Kurve liegt der expressive Turn: das Wieder-Einsetzen gerichteter Aktivität.
Diese beiden Schwellen sind die eigentlichen Fenster neuroresonanter Kopplung. Hier können Netzwerke sich neu verbinden. Die Kunst neuroresonanter Navigation besteht darin, diese Schwellen wahrzunehmen, zu halten und zu beantworten – nicht zu kontrollieren. Entscheidend ist nicht die Größe der Intervention, sondern ihr Timing zur Schwelle und ihre Resonanzarchitektur. Neuroresonante Interventionen folgen der neurobiologischen Ordnung der Netzwerk-Affekt-Synchronisierung im NrPNM. Genau diese mikrotherapeutische Präzision markiert den Fortschritt des Modells: Resynchronisation wird gezielt möglich.
Mini-Vignette 1 (Regulation → Klärung, exekutiv):
Patientin hyperaroused, Atmung hoch, Blick flackernd (Salienz übersteuert). Therapeutin senkt Stimmtempo, verlängert Ausatmung, verankert Körpersinn (Halten). Marker: Zitterwelle ebbt ab, tiefer Seufzer (rezeptiver Turn). Jetzt kurzes Fokussieren (Salienz inwärts) + kleine Planungsfrage (Exekutive): „Welcher erste Mini-Schritt fühlt sich heute machbar an?“ Kopplung steht.
Mini-Vignette 2 (Klärung, resonant → Präsenz):
Nach narrativer Ordnung (Exekutive) taucht ein Bild auf (DMN-Öffnung): „Ich sehe einen Sturm und halte mich an einem Baum.“ Therapeut*in bezeugt („Bleiben Sie bei diesem Bild.“), Raum weitet sich, Zeit entschleunigt sich, Schultern sinken – Präsenzfenster öffnet sich.
Diese Kopplungslogik zeigt sich in jeder einzelnen Sitzung – und zugleich als Miniatur dessen, was sich im Gehirn als ganze Architektur entfaltet. Eine sich selbst ähnliche, fraktale Struktur wird beschreibbar: Denn was in der mikroskopischen Feinmechanik des Moments geschieht, ist dasselbe, was das Gehirn im gesamten Prozess des Bewusstseins tut: synchronisieren, integrieren, schwingen.
6. Six is a Party: Von der Triple-Network-Theory zur NrPNM-Lesart des Gehirns
Mit dem Earthquake-Moment betreten wir die Tanzfläche des Gehirns.
Hier beginnt die Resonanz sichtbar zu schwingen – nicht mehr nur zwischen Therapeut und Patient, sondern zwischen Affekt und Kortex, zwischen Emotion und Struktur.
Die Dynamik, die wir im therapeutischen Raum als Navigation zwischen Regulation, Klärung und Intimität erleben, spiegelt sich hier als neurobiologische Resonanz zwischen Wahrnehmung, Handlung und Bedeutung.
Prozesslogik und Resonanzlogik greifen ineinander – im Gehirn wie in der Beziehung.
Die Triple-Network-Theory beschreibt, wie neuronale Netzwerke in dynamischer Balance zusammenwirken – und wie Störungen dieser Balance mit Psychopathologie korrespondieren (Menon, 2011; Seeley et al., 2007; Sridharan et al., 2008).
Das NrPNM erweitert und integriert: Es beschreibt nicht nur, dass Netzwerke schwingen, sondern wie sie sich koppeln – über Turns, Timing und Resonanzfenster.
Erstmals wird damit das Wie der Umschaltung sichtbar: eine Mikrodynamik, die bislang theoretisch postuliert, aber nicht phänomenologisch beschrieben war.
Hinzu kommt die Integration der affektiven Systeme (nach Panksepp).
Das NrPNM zeigt, wie sich affektive Systeme (die emotionalen Zentren) und kortikale Netzwerke (die Strukturen kognitiver Verarbeitung) in einer gemeinsamen Architektur begegnen.
In dieser Verbindung entsteht das, was das NrPNM als duale kortikale Architektur der Bewusstseinsemergenz bezeichnet.
Damit wird Bewusstsein als Antwortfeld zwischen zwei Resonanzsystemen verstehbar – einem affektiven und einem kognitiven –, deren Dialog das Erleben hervorbringt: im Körper spürbar, im Denken erkennbar.
Das NrPNM versteht Bewusstsein als Resonanzschwingung zwischen der verkörperten Energie der Affekte und der strukturierenden Antwort des Geistes.
Es entsteht eine Konvergenz von Phänomenologie und Neurobiologie – zwischen den affektiven Basissystemen (Angst / FEAR, Wut / RAGE, Trauer-Panik / GRIEF-PANIC) und den drei zentralen Netzwerken (Salienz, Exekutive, Default Mode).
Diese Konvergenz folgt einer binären Architektur (Affektsysteme / Netzwerke) und zugleich einer sechspoligen Ordnung – drei affektive Systeme plus drei kortikale Netzwerke: der Hexagrammatik des Gehirns (s. Abb. 1).
Ziel des NrPNM in der Therapie ist die Synchronisierung dieser Ordnung.
Diese Bewegung wird durch drei Achsen stabilisiert:
Achse der Wahrnehmung: Angst ruft Orientierung und Selbstverortung hervor – das Salienznetzwerk organisiert Sicherheit und Fokus.
Achse der Wirksamkeit: Wut fragt nach Energieeinsatz und Rücknahme – das Exekutivnetzwerk ermöglicht Struktur, Handlung und Ausdruck.
Achse der Bedeutung: Trauer-Panik sucht Verbindung und Selbstreferenz – das Default-Mode-Netzwerk generiert Beziehung, Selbstkohärenz und Sinn.
Diese drei Achsen sind keine isolierten Dyaden, sondern nur in ihrer Einbettung in die hexagrammatische Ordnung aller sechs Komponenten verstehbar.
Sie bilden drei Kernaspekte des Bewusstseins ab: Wahrnehmung, Energie und Bedeutung.
Wie eine DNA finden sie sich auf allen Ebenen des Prozesses wieder – jenseits des Window of Tolerance desynchronisiert, im Window of Presence integriert: als Klarheit, Wärme und tiefer Sinn.
Das NrPNM versteht Bewusstsein nicht als Zustand, sondern als Resonanzprozess.
Klinisch entsteht dadurch eine präzise Interventionslogik: Therapie wird zu einem Gespräch zwischen Netzwerken, das durch seine Grammatik neue Ordnung und Klarheit gewinnt.
Damit lässt sich die Dynamik klinisch erleben – nicht nur verstehen.
Während die Triple-Network-Theorie drei kognitive Manager beschreibt, fügt das NrPNM drei emotionale Powerpacks hinzu – und plötzlich wird aus einem Meeting eine Party.
Three is a group of friends, six is a party – and resonance is what makes music swing.
7. Hexagrammatische Ordnung – Die Resonanz-DNA des Bewusstseins
Was wie eine Party begann, formt sich nun zur Architektur eines Films – sechs Akteure, drei Achsen, ein Bewusstsein. Was im Mikro der Kopplungslogik sichtbar wurde, entfaltet sich im Makro on a brain level als Resonanzordnung des Bewusstseins. Die hexagrammatische Struktur des NrPNM beschreibt nicht nur, wie das Gehirn schwingt, sondern wie es sich durch Fokus, Handlung und Sinn immer wieder neu organisiert – in einem kontinuierlichen Dialog zwischen Affekt und Kognition, zwischen Körper und Geist.
Spiegelt man die hexagrammatische Ordnung und die duale Architektur des Gehirns auf die prozesslogischen Ebenen von Regulation, Klärung und Intimität – und versteht ihre Stabilisierung jeweils als Toleranz-, Resonanz- und Präsenzfenster –, werden die Rollen der drei kortikalen Netzwerke anschaulich: Sie verhalten sich wie ein Filmteam, das aus Rohmaterial Bedeutung formt.
Das Salienznetzwerk ist der Kameramann. Es entscheidet, worauf der Fokus fällt, welche Reize im Augenblick bedeutsam sind, ob der Blick nach innen oder nach außen geht. Im übererregten Zustand des Toleranzfensters ist dieser Kameramann nervös: Handkamera, schnelle Schwenks, übersteuerte Belichtung. Das Bild wirkt roh, sprunghaft – Dogma-95-Ästhetik. Erst wenn der Kameramann eine stabile Beziehung zum Regisseur, dem Exekutivnetzwerk, aufnimmt, beruhigt sich die Einstellung: Die Kamera kommt zur Ruhe, die Bildfolge wird komponiert, Szenen bekommen Anfang und Ende. Wir betreten die Tiefungsdimension der Klärung.
Die primären Affektsysteme integrieren sich sekundär (zueinander antwortend) zum SEEKING-System: Wir können jetzt explorieren, neugierig und offen. Die Klärung selbst verläuft zweiphasig. Zunächst dominiert die exekutive Phase: Das Alltagsbewusstsein sortiert und strukturiert, wir planen, unterscheiden, geben Sequenzen eine Richtung. Die Zeit wird linear – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ordnen sich zu einem Handlungsbogen.
Je weiter diese Ordnung trägt, desto offener wird das System für das Default-Mode-Netzwerk – unseren Art Director. Mit seiner Zuschaltung beginnt die resonante Phase der Klärung: Das Material gewinnt Tiefe. Es entstehen archetypische Szenen, atmosphärische Dichte, innere Bilder und Bedeutungsräume, die das Dokumentarische überschreiten. Aus bloßer Chronik wird ein berührender Art-House-Film. In dieser zweiten Phase öffnet sich das Resonanzfenster: Denken wird fühlend, Fühlen verstehend.
Die Affektsysteme integrieren in dieser Phase zum nach innen ausgerichteten CARE-System und zum gleichschwebend inter- und exteriofokussierten PLAY-System. Wenn schließlich Kameramann (Salienz), Regisseur (Exekutive) und Art Director (DMN) miteinander und mit den drei Affektsystemen integriert sind, wechselt der Film nochmals sein Genre: Er wird gegenwärtig. Die Präsenz stellt sich ein. Die Zeitqualität verändert sich ein drittes Mal – von der punktuellen Jetztzeit der Regulation über die lineare Zeit der Klärung hin zur weiten, fließenden Zeit der Präsenz (Schore 2019; Stern 2004). Das Bild wird weit, der Blick weich, die Montage selbstverständlich. Nichts drängt, nichts hält fest. Das Gehirn schwingt in synchroner Kohärenz: Salienz, Exekutive und DMN antworten einander nicht mehr abwechselnd, sondern gemeinsam. In dieser Weite öffnen sich die inneren Bilder wie ein inneres Auge – der Moment, in dem Bewusstsein sich selbst erkennt.
Diese filmische Metapher ist nicht bloß Illustration, sondern eine phänomenologische Übersetzung neuroresonanter Dynamik: Die Art, wie Fokus (Salienz), Struktur (Exekutive) und Sinn (DMN) miteinander ins Gespräch kommen, prägt die erfahrbare Zeit – und damit die Qualität des Erlebens in Regulation, Klärung und Intimität. Auch affektiv entsteht eine tertiär integrierte, synchrone Antwortbeziehung der Affektsysteme – im NrPNM als präzisierender Co-Begriff zu Panksepps LUST-System mit ALIVENESS-System bezeichnet.
Die folgende Grafik (Abb. 1) greift die Filmmetapher auf und stellt die binäre Architektur des Gehirns und die hexagrammatische Ordnung mit den drei Achsen symbolisch dar:

Abb. 1: Hexagrammatik des Gehirns (NrPNM) – die Resonanzarchitektur des Bewusstseins. Die sechs Systeme bilden eine binäre Architektur, die sich über drei stabilisierende Achsen ordnet und die Synchronisierung von Affekt und Kognition ermöglicht. Diese drei Achsen tragen die Struktur des Bewusstseins – Wahrnehmung, Energie und Verbundenheit. In ihrer Schwingung entsteht das, was wir als Resonanz erleben.
Diese hexagrammatische Ordnung ist kein theoretisches Gebilde, sondern die innere Geometrie, die Resonanz-DNA des Bewusstseins. Sie ist das Atemmuster von Affekten, Körper und Geist, das den therapeutischen Raum trägt und das Leben in Resonanz bringt.
Dieses Muster richtet sich in der Synchronisierungsbewegung auf einen Moment der Integration aus und erreicht diesen als einen Scheitelpunkt – nicht als Endpunkt der Bewegung: Wenn der Film schließlich ganz still wird, bleibt nur noch das Licht selbst. Kein Schnitt, kein Zoom, kein Skript – nur der Blick, der sich weitet. Das Bild wird dreidimensional. Die Kamera löst sich in Weite auf; kein Objektiv bündelt mehr die Szene – wir sind selbst mittendrin. An diesem Punkt beginnt das Bewusstsein, sich selbst zu sehen. Was zuvor wie eine Choreographie zwischen Kamera, Regie und Art Director wirkte, ordnet sich nun vertikal: Fokus, Struktur und Sinn schichten sich übereinander – wie drei Ebenen eines Lichtfeldes, das sich durch den ganzen Organismus zieht. In dieser Tiefe verändert sich die Richtung der Bewegung: Von der horizontalen Montage zur vertikalen Integration. Von der Abfolge zur Schwingung. Von der Bildfolge zur Präsenz. Und genau hier öffnet sich das innere Auge – das Zentrum, das all diese Bewegungen hält und synchronisiert.
8. Das innere Auge – der aPFC als Kupplungszentrum der Präsenz
Um die hexagrammatische Ordnung zu halten und zu koordinieren, braucht das System ein Zentrum, das die Schwingung trägt. Dieses Zentrum ist der anteriore präfrontale Cortex (aPFC) – das innere Auge des Bewusstseins.
Er verbindet die drei kortikalen Netzwerke – Salienz, Exekutive und Default Mode – zu einem einzigen Resonanzkörper. Er ist das neuronale Scharnier, das Wahrnehmung, Handlung und Sinn in Bewegung hält. Und er ist die Schaltstelle, an der Kopplung geschieht: das bewusste Öffnen, Lösen und Neuverbinden von Resonanzzuständen.
In der Prozessnavigation entspricht das seiner klinischen Entsprechung: dem Moment, in dem das System bereit wird, sich neu zu synchronisieren. Der aPFC ist das Metazentrum der Offenheit – er muss sich an jeder Fensterschwelle leicht öffnen, damit der Übergang gelingen kann.
Im Window of Tolerance, wenn Regulation in Klärung übergeht, schafft er Ambiguität – die Fähigkeit, Unsicherheit zu halten, ohne in Kontrolle oder Flucht zu kippen.
Im Window of Resonance, beim Übergang von Klärung zu Intimität, öffnet er die innere Wahrnehmung: Beziehung kann entstehen, ohne dass das Selbst sich verliert.
Im Window of Presence hält er schließlich alle drei Fenster gleichzeitig offen – er synchronisiert Wahrnehmung, Energie und Verbundenheit in einer einzigen Schwingung.
Ambiguität ist die Öffnungsbewegung der Kupplung im inneren System.
Wenn der aPFC offen ist, kann das Gehirn verweilen:
nicht reagieren, sondern antworten;
nicht entscheiden, sondern halten;
nicht wissen, sondern sehen.
Therapeutisch lässt sich diese Offenheit gezielt ansprechen.
Sie entsteht, wenn wir Sätze sagen wie: „Ich sage jetzt gleich ein paar Sätze – nimm einfach das, was für dich passt, alles andere darf vorbeiziehen.“ Oder wenn wir mit dem Integrationssatz arbeiten:
„Ich bin mit dieser Erfahrung präsent – in Beziehung zu mir selbst, zu den Menschen, die mir wichtig sind, und in meiner Lebenswelt.“
Auch Bewegung oder Gestaltung können diese Öffnung einleiten: bewusst verlangsamte, atembegleitete Gesten, Zeichnen, Formen, Arbeit mit Ton. Alles, was Wahrnehmung und Handlung verbindet, aktiviert den aPFC leise und präzise – er öffnet die Kupplung, ohne sie zu erzwingen.
Im Feld der Intimität erreicht der aPFC seine höchste Form: Dort, wo Resonanz in Mitgefühl und Transzendenz übergeht, hält er das Bewusstsein offen und zugleich verankert. Er ist das innere Auge, das die Räume zwischen den Fenstern zusammenhält.
Wenn sich in dieser Haltung tiefe innere Bilder zeigen, sind sie keine Projektionen – sondern sichtbare Wellen der Synchronisation zwischen Affekt und Kognition. So wird der aPFC zum neuroresonanten Zentrum der Prozessnavigation: Er übersetzt Erfahrung in Bewusstsein, führt die sechs Systeme in eine gemeinsame Schwingung und lässt das Gehirn zum Zeugen seines eigenen Prozesses werden.
Wenn sich das Gehirn selbst zu bezeugen beginnt, verschiebt sich die Perspektive: Was zuvor als einzelne Achse erschien, entfaltet sich nun als vertikale Architektur. Die drei Fenster – Toleranz, Resonanz, Präsenz – sind keine Stufen, sondern Schichten eines lebendigen Systems.
Jedes öffnet sich im anderen, jedes trägt das nächste. An den Schwellenpunkten dazwischen tritt der aPFC als Schaltstelle auf: Er hält die Basis offen, während das nächste Fenster sich öffnet – wie ein Halten der Kupplung, während der Gang wechselt. So kann das Bewusstsein zwischen den Ebenen gleiten, ohne zu reißen.
Diese vertikale Dynamik ist eine Resonanzbewegung zwischen Körper und Seele, zwischen Affekt und Bedeutung.
Unten schwingt die Regulation – der Kontakt zur Erde, zur Körperbasis.
In der Mitte pulsiert die Resonanz – Beziehung, Bewegung, Emotionalität.
Oben öffnet sich die Präsenz – das weite innere Auge, das das Ganze hält.
So entsteht die dreifache Schwingung des Bewusstseins: Verkörperung, Affektbewusstsein, Selbsttranszendenz.
Die zweite Signaturgrafik (Abb. 2) macht diese Bewegung sichtbar:
drei übereinanderliegende Hexagramme, verbunden durch eine transparente vertikale Achse – ein Lichtband zwischen Erde und Himmel.

Abb.2: Drei Schwingungsebenen des Bewusstseins: Regulation, Resonanz und Präsenz.
Sie bilden keine Stufen, sondern ineinander geöffnete Fenster – ein lebendiges Kontinuum, das sich entlang der vertikalen Achse des anterioren präfrontalen Cortex entfaltet.
Die Grafik zeigt, wie sich Verkörperung, Affektbewusstsein und Selbsttranszendenz wechselseitig halten:
unten der Körper als Basis der Regulation, in der Mitte die Resonanz als Bewegung der Beziehung, oben die Präsenz als offenes inneres Auge.
Die vertikale Lichtachse verbindet Himmel und Erde – sie symbolisiert die neuroresonante Integration, in der das Bewusstsein schwingt, ohne zu zerfallen.
Wenn man die Grafik betrachtet, geschieht etwas Besonderes: Sie erklärt den aPFC nicht nur – sie zeigt, was er tut. Die vertikale Achse in der Mitte der drei Hexagramme ist kein Symbol, sondern eine Darstellung seiner Funktion: ein offener Resonanzkanal, der die durch ihn schwingenden Achsen immer wieder synchronisiert. An jedem Schnittpunkt öffnet sich der aPFC minimal – wie ein fein regulierendes Scharnier – und ermöglicht, dass sich die Schwingungen der unteren, mittleren und oberen Ebene aufeinander abstimmen. So entsteht eine dynamische Selbstordnung: Wahrnehmung (unten), Bewegung (Mitte) und Bewusstsein (oben) finden durch denselben Kanal wieder zueinander.
Die Grafik kann daher als Beobachtungsinstrument des Bewusstseins verstanden werden: Wer sie betrachtet, erlebt die Bewegung, die sie beschreibt – eine Schwingung, die durch alle drei Fenster läuft. Das dreidimensionale Prozessverständnis der Tiefung im PNM – Regulation, Klärung und Intimität – verbindet sich mit dem bewusstseinslogischen Prozessbild im NrPNM – Regulation, Resonanz, Präsenz. Es wird verständlich, wie diese drei Dimensionen in jedem Moment anwesend sind auch wenn wir therapeutisch auf einer Ebene arbeiten – die fraktale Logik der Synchronisation. Und die Schwingung erhält hierdurch eine vierte Dimension der Transformation, die Vertikale.
Diese Bewegung lässt sich auch körperlich spüren: wie drei Hula-Hoop-Reifen, die auf unterschiedlichen Ebenen kreisen – unten Regulation, in der Mitte Resonanz, oben Präsenz. Wenn die Basis aus dem Takt gerät, beginnen auch die oberen Reifen zu eiern oder in Gegenbewegung zu stabilisieren – das, was wir klinisch als kompensatorische Kontrollmuster erleben. Erst wenn der untere Kreis wieder ruhig schwingt, können die oberen beiden mühelos mitlaufen. Das System gleitet dann in jene Leichtigkeit, die wir als Synchronie erleben: Energie fließt, Struktur trägt, Bewusstsein weitet sich.
So wird die vertikale Architektur des Gehirns zur Landkarte des Bewusstseins. Der aPFC ist nicht nur ihr Zentrum, sondern ein feines Sensorium – das Resonanzauge, das spürt, wann eine Achse nachstimmen muss, damit das Ganze schwingt.
Abb. 3 zeigt dieses Bild aus der vertikalen Perspektive. Wenn man lange genug hinsieht, geschieht etwas Bemerkenswertes: Das Bild beginnt zu atmen.

Abb. 3: Das innere Auge – vertikale und konzentrische Schwingungsordnung des Bewusstseins. Das Bild zeigt die dynamische Mitte des Neuroresonanten Prozessnavigationsmodells (NrPNM): ein konzentrisches Feld aus Bewegung, Licht und Tiefe. Von außen nach innen verdichten sich die Bahnen – wie Schichten einer lebendigen Resonanz. Die äußeren, weiten Kreise repräsentieren die Ebene der Regulation: das rhythmische Haltefeld, in dem Energie verteilt und Stabilität erzeugt wird. Hier schwingt das System breit, körpernah und erdend – die Basis der Selbstorganisation. Die mittleren, strömenden Linien entsprechen der Resonanz: Hier entsteht Bewegung, Beziehung und Synchronisierung. Die Schwingung wird gerichteter, kommunikativer, sie trägt Bedeutung. Im inneren, leuchtenden Zentrum bündelt sich die Bewegung zu Präsenz: Es ist der Punkt der stillen Synchronie, in dem alle Kräfte sich gegenseitig halten. Dort ruht das Bewusstsein in sich selbst – nicht mehr reagierend, sondern wahrnehmend. So entfaltet sich das Bild topologisch invers zur Farbe, aber in völliger Übereinstimmung mit der Prozesslogik des NrPNM: von der flächigen, rhythmischen Basis zur verdichteten Klarheit des inneren Auges.
Die Linien scheinen sich zu bewegen, als würde die Schwingung selbst sichtbar. Und genau hier, in der Mitte des Feldes, öffnet sich das innere Auge. Denn in dieser Mitte liegt keine neue Bewegung, sondern das Ende aller Gegenbewegung. Hier ruht der aPFC in seiner eigentlichen Funktion – als stilles Auge der Präsenz. Dann sehen wir nicht mehr das Bild – das Bild sieht uns. Wenn wir in unserer Mitte ruhen, ruht das Bewusstsein in sich selbst.
9. Resynchronisation als Metaziel
Wenn das Bewusstsein beginnt, sich selbst zu sehen, zeigt sich, was Therapie im Kern leistet: Sie stellt den Rhythmus wieder her.
Resonanz wird wieder Takt. Das, was im Gehirn geschieht, spiegelt sich im therapeutischen Raum – ein Prozess, in dem getrennte Systeme wieder beginnen, miteinander zu sprechen.
In der neuroresonanten Sichtweise ist jede Therapie ein Prozess der Resynchronisation. Was wir klinisch als Heilung erleben, ist im Kern die Wiederherstellung eines gemeinsamen Rhythmus – innerhalb des Menschen und zwischen Menschen. Wenn ein Patient nach einer Sitzung sagt: „Irgendwie bin ich wieder in mir angekommen“, beschreibt er genau das: Die inneren Systeme, die zuvor gegeneinander gearbeitet haben, beginnen wieder zusammenzuschwingen.
Resynchronisation bedeutet nicht bloß emotionale Entlastung oder kognitive Einsicht, sondern eine Rückkehr in den biologischen Dialog (Porges, 2011; Thayer et al., 2009). Affektive und kortikale Netzwerke, die zuvor asynchron liefen, finden wieder eine gemeinsame Taktung. Das System, das vorher in Dominanz, Inhibition oder chaotischer Übersteuerung gefangen war, beginnt wieder, Frage und Antwort auszutauschen. Diese rhythmische Selbstregulation ist die eigentliche Grundlage jeder Integration – und damit auch der therapeutischen Wirksamkeit.
Das Metaziel der Resynchronisation ordnet alle klassischen Therapieziele neu. Ohne sie zu relativieren, gibt es ihnen ein inneres Gerüst. Einsicht, Handlungskompetenz, emotionale Integration, Beziehungsfähigkeit – sie alle sind Ausdruck desselben Prinzips: des Wiederanschlusses an kohärente innere Schwingung. Ein Mensch, der lernt, seine affektiven und kognitiven Systeme zu synchronisieren, erlebt Selbstkontakt. Ein Mensch, der diese Synchronie in Beziehung halten kann, erlebt Begegnung. Und wer in beiden Räumen – innen und außen – Resonanz halten kann, erfährt Heilung.
Resynchronisation entfaltet sich doppelt: intrapsychisch und interpersonell.
(1) intrapsychisch – Emotion, Gedanke, Körper, Erinnerung finden wieder zueinander;
(2) interpersonell – diese innere Kohärenz tritt in Resonanz mit einem Gegenüber.
Wenn Therapeutin und Patientin spürbar „einschwingen“, entsteht eine mikrosoziale Version dessen, was das Gehirn auf neuronaler Ebene leistet: Kohärenz durch Antwort.
Dieses Verständnis verschiebt den Fokus vom Tun zum Antworten. Nicht die Intervention heilt, sondern der Moment, in dem sie in Resonanz geschieht. Therapie wird damit zu einer Resonanzpraxis: ein Raum, in dem Systeme lernen, wieder miteinander zu sprechen – sanft, rhythmisch, präzise und lebendig. Synchronie ist kein Zustand, sondern eine Bewegung – ein Puls, der entsteht, wenn affektive und kortikale Systeme wieder gemeinsam zu schwingen beginnen.
Integration als Rückkopplungsschleife
Viele therapeutische Prozesse enden in einem Moment von Präsenz – berührend, aber oft schwer in den Alltag zu übersetzen. Das NrPNM bietet hier eine prozesslogische Struktur, um diese Präsenz rückzukoppeln: in Körper, Affektsystem und Handlung. Die Integrationsarbeit wird im NrPNM nachvollziehbar, lehrbar und zugleich lebendig, weil sie nicht etwas hinzufügt, sondern das, was bereits erfahren wurde, in Bewegung hält. Ob daraus nachhaltige Veränderung entsteht, hängt – wie in jeder Therapie – von vielen Faktoren ab; das NrPNM zeigt jedoch präzise und mit neuer Differenzierung, wo und wie Integration im Prozess ansetzt.
Resynchronisationskompetenz als Integrationsziel
Der eigentliche therapeutische Wert entsteht erst, wenn sich die Schwingung in Struktur überträgt – hier beginnt Integration. Der Integrationsfokus ist im PNM und im NrPNM kein bloßes Anhängsel der Therapie, er ist integraler Bestandteil und in der vollständigen Prozessschleife sowohl auf der Mikroebene der Sitzung als auch auf der Makroebene der Behandlungsplanung strukturell verankert.
Das NrPNM fragt nicht nur, ob das System schwingt, sondern ob es die Schwingung tragen kann. Die Präzision, die in der neuroresonanten Prozessführung in den Kopplungsbewegungen erreicht wird, ermöglicht die Selbstorganisation der Rekopplung aus dem System heraus. Sie führt zu einer Differenziertheit der Resonanzerfahrung, die Patient*innen spüren lässt, wo ihr eigenes System antwortet. Sie ermöglicht es, die Resynchronisierungsbewegung als eigene zu identifizieren und einzuüben.
Diese Erfahrung transformiert die Beziehung: die Resonanzbewegung des Therapeuten ist nicht nur heilsame Beantwortung und korrigierende Erfahrung, sondern zugleich Selbstermächtigung – aus Resonanzempfang wird eigene Resonanzantwort und resonantes Handeln. Der Therapeut ist hierbei Resonanzpartner, nicht Versorger, Dirigent oder Manager. In dieser Verschiebung liegt eine der subtilen, aber bedeutsamen Haltungskorrekturen im Therapieverständnis des NrPNM: Die korrigierende emotionale Erfahrung verliert ihren reparativen Charakter und wird zu einer Kopplungserfahrung, die Eigenbewegung weckt. Heilung geschieht nicht mehr durch das, was der Therapeut gibt, sondern durch das, was das System im Mitschwingen wieder selbst hervorbringt.
Gleichzeitig wird Integration im NrPNM auf zwei Ebenen prozesslogisch gerahmt: Resynchronisation und Rekopplung werden gezielt eingeübt. So entsteht ein Erfahrungslernen des Nervensystems – eine gelebte Neurodidaktik. Zweitens läuft die vollständige Prozessschleife in der Sitzung selbst über gezielte Ansprache der basalen Netzwerkintegrationen aus der Präsenzqualität in die Ressonanzebene, die exekutive Ebene und die regulative Ebene zurück – und wird darüber hinaus im Abschluss der Sitzung auf Synychronisationsroutinen für den Alltag gespiegelt. Patient*innen lernen, was es heißt, den aPFC bewusst offen zu halten, Schwellen zu spüren, eigene Affekte zu beantworten und in Beziehung zu bleiben.
Diese Integrationsarbeit verbindet die innere Synchronie mit der äußeren Lebenspraxis: Das System hat nicht nur Resonanz erfahren, sondern Resonanzfähigkeit und Resynchronisationskompetenz erworben. Im klinischen Raum ist sie der Moment, in dem die Therapeut*in überflüssig wird, weil das System sich selbst zu synchronisieren gelernt hat. So ist Resynchronisation im NrPNM der Moment, in dem Resonanz zu Selbstorganisation wird. Der Puls des therapeutischen Prozesses schlägt weiter, aber nun im eigenen Rhythmus des Systems.
10. Steuerung als Beziehungsgeste – die Kunst, die Kontrolle zu verlieren
Resonanz ersetzt Steuerung nicht – sie verwandelt sie. Was früher als Ziel galt – Kontrolle, Präzision, Technik – wird im Licht der Resonanzlogik zum Werkzeug auf Zeit: dienend, nicht herrschend.
Steuerung bleibt wichtig, aber sie darf sich nicht zwischen Therapeut*in und Prozess stellen.
Sie ist nicht das Gegenüber, sondern der Taktstock, der dem Orchester zuhört, während er schlägt.
Neuroresonante Prozesskompetenz heißt zu wissen, wann Nicht-Tun das Wirksamste ist. Wird ein System an der Schwelle gesehen – am Scheitelpunkt zwischen Anspannung und Entladung, zwischen Ausdruck und Empfänglichkeit –, kann eine zu frühe Intervention den natürlichen Umschlag stören. Das Nicht-Drängen wird so zur zentralen Figur: Vertrauen in die Eigenrhythmik des Systems. Wir drücken die Kupplung sanft durch – nicht, um sie zu kontrollieren, sondern um den Moment zu spüren, an dem der nächste Gang von selbst einrastet. Steuerung wird nicht aufgegeben, sondern zugleich entmachtet und bereichert: auch Schweigen, Halten, Atmen und Warten werden als steuernde Kräfte entfaltet.
Präzision entsteht niemals durch Druck, sondern durch Resonanz und Timing. Eine halbe Sekunde, ein Hauch von Prosodie, ein weichender Blick – all das entscheidet, ob ein System sich öffnet oder schließt.
Navigiert man so, wird Therapie zu einer Kunst der Bewegung, die entsteht, weil zwei Systeme sich aufeinander beziehen.
Und doch bleibt Steuerung bedeutsam, denn ohne Richtung verliert Resonanz Halt. Diese Richtung orientiert sich im PNM an der Prozesslogik. Sie hat Themenfokus und Integrationsfokus im Blick und orientiert sich an Tragfähigkeit und Rhythmus der systemischen Synchronisation. Steuerung im PNM ist teleologisch, nicht teleonomisch: zielgerichtet durch Sinn, nicht durch Funktion. Neuroresonante Navigation heißt, beides zu halten – die Intelligenz der Struktur und die Intuition der Resonanz. Wir lernen, nicht loszulassen, sondern responsiv zu navigieren.
Das System braucht nicht mehr Kontrolle – es braucht einen Menschen, der mit ihm atmet: Relax – nothing is under control.
Im PNM und NrPNM werden Timing und Tiefung lernbar und lehrbar. Die Prozesslogik ermöglicht es uns, resonante von nicht-resonanten Rollen zu unterscheiden, Selbstkontakt konkret ans Erleben zu Koppeln und Schwellenmarker lesbar zu machen. Die neuroresonante Interventionslogik ermöglicht uns außerdem, den Prozess präzise und vierdimensional zu führen durch die vertikale Prozessschleife der Fensterkopplung und Resynchronisation.
Alles, was sich im Raum zwischen zwei Menschen synchronisiert, hinterlässt Spuren – nicht als Erinnerung, sondern als Resonanz. Der neue Rhythmus schreibt sich in den Körper ein: er beginnt zu erzählen, was er in der Beziehung zu sich selbst gelernt hat.
11. Die Tür geht nach innen auf: Der Körper als Resonanzarchiv
Auf den Spuren verkörperter Resonanzgeschichte
Das Neuroresonante Prozessnavigationsmodell (NrPNM) lehrt uns, die Sprache des Körpers als Matrix der Synchronisierungsbewegung zu lesen – nicht deskriptiv, sondern rhythmisch – und als Archiv der verkörperten Resonanzgeschichte, in dem vergangene Kopplungsvorgänge eingeschrieben sind.
Während manche Ansätze diese Spuren mehr als Narbe verstehen, hören wir sie im NrPNM als Echo vergangener Kopplungsversuche. Statt diese Türen nach außen zu öffnen – ob durch Gegenregulierung, Ausdruck oder Katharsis – zeigt das NrPNM einen anderen Weg. Das Wiederanschließen an die Resonanzbewegung, die im Inneren begonnen, aber nie beantwortet wurde, geht der Rekopplung durch das Fenster voraus. Damit wird der Körper zu einem Ort des Navigierens.
Jede Spannung, jede Verhärtung, jedes „Steckenbleiben“ ist kein Defekt, sondern der Ausdruck eines misslungenen Kopplungsversuchs, den das System durch Kontrolle stabilisiert hat (Ogden et al., 2006; Schore, 2003; van der Kolk, 2014). Kontrolle ist wie das Drücken gegen diese Tür, bis wir zurücktreten und bemerken: die Tür geht nach innen auf. Das NrPNM organisiert diese Bewegung durch Synchronisation innerhalb der hexagrammatischen neuronalen Ordnung.
In jeder somatischen Reaktion lässt sich lesen, welches System gerade ruft – FEAR, RAGE oder GRIEF – und welche Affektsystem-Netzwerk-Achse die Resynchronisationsbewegung stabilisiert. Die binäre Architektur des Gehirns – Affektsysteme und kortikale Netzwerke in ständiger Gegenschwingung – verbindet sich in der neuroresonanten Therapie mit der vertikalen Kopplungslogik, in der der anteriore präfrontale Cortex (aPFC) die Resonanzen zwischen Salienz-, Exekutiv- und Default-Mode-Netzwerk in Echtzeit koordiniert. Der therapeutische Prozess tritt in eine kokreative Bewegung mit der natürlichen Synchronisierungstendenz neuronaler Strukturen – nicht durch Kontrolle, sondern durch neuroresonante Beantwortung: Jeder affektive Zustand ist eine Einladung an das Gehirn, sich neu zu ordnen.
Regulation bedeutet dann nicht ausschließlich Beruhigung, sondern eine Führungsbewegung wie in einem Tanz: die Kopplung des richtigen Netzwerks im richtigen Moment – mit präzisem, resonant navigiertem Timing.
Beispiel aus der Praxis
Ein junger Mann, lange im Exekutivmodus gefangen – Bundeswehr, Disziplin, Kontrolle.
Sein Brustkorb ist hart, sein Atem flach. Alles in ihm hat gelernt, zu halten, zu funktionieren, nicht zu fühlen.
Die neuroresonante Haltung sieht darin keine „Verletzung“, die sanft berührt werden muss, um sich zu lösen, sondern erkennt den unterbrochenen Kopplungsversuch: der Wunsch des RAGE-Systems, Energie nicht nur einzusetzen, sondern auch freizugeben, durfte nie ausschwingen. Die Affektenergie bleibt fixiert an das Exekutivnetzwerk gebunden, das Default-Mode-Netzwerk bleibt unintegriert.
Der Körper hält fest, was einst in Bewegung wollte, was am Scheitelpunkt Ausdruck und Rücknahme suchte – und ersetzt Resonanz durch Kontrolle.
Die Intervention spiegelt eine der drei Grundübungen des NrPNM wider: ein rhythmisches Pulsieren mit den Händen – Kraft geben, Kraft zurücknehmen. Zunehmend achtsam, den Scheitelpunkt mit der Entscheidungsfindung wahrnehmend. Die Verlangsamung an den Scheitelpunkten und der Fokus öffnen sanft den aPFC und aktivieren den Kopplungsmodus. In diesem einfachen Bewegungsdialog koppeln sich Exekutivnetzwerk und RAGE-System neu.
Die emotionale Entladung, die sich dann zeigt, ist kein Kontrollverlust, sondern eine Wiederherstellung von Rhythmus: Sympathische Aktivierung, dann parasympathische Lösung – der Körper antwortet, das System synchronisiert.
In optimaler Resonanzkonstellation kann sich jede Resynchronisationssequenz innerhalb von etwa 90 Sekunden vollziehen – der minimale Zeitraum, den ein menschliches Nervensystem benötigt, um von Übererregung in die affektiv-kortikale Kopplung zurückzufinden, also von einer Out-of-the-Window-Situation in das Toleranzfenster (Beruhigung) und durch das Fenster hindurch zu finden (Rekopplung). Die neurophysiologische Dynamik lässt sich in vier Phasen beschreiben:
Sekunde 0–15 – Affektentladung:
Der Körper befindet sich in voller Sympathikusaktivierung: Herzfrequenz hoch, Atmung flach, Adrenalinspitzen. In dieser Phase greifen weder Gespräch noch kognitive Intervention – nur Struktur und Sicherheit.
Sekunde 15–45 – Orientierungsphase:
Körperorientierte Grundübung (z. B. balancierte Erdung, Rechts-Links-Koordination, Blickfokus zwischen innen und außen). Aktivierung der Salienzachse. Das Gehirn beginnt, sensorische Inputs wieder zu sortieren: „Wo bin ich? Wo ist sicher? Wer ist da?“ In dieser Phase synchronisieren sich visueller Kortex, Vestibulärsystem und rechter Insularkomplex – die neurophysiologische Rückkehr des Ich bin da.
Sekunde 45–75 – Präfrontale Rekalibrierung:
Jetzt schaltet sich der anteriore präfrontale Cortex wieder zu. Er verbindet top-down die exekutive Kontrolle mit der emotionalen Welle. Das ist der Moment, in dem Farbe ins Gesicht zurückkehrt – die Vasomotorik normalisiert sich, der Vagus übernimmt. Amygdala und Hypothalamus werden moduliert, Cortisol fällt ab, Oxytocin steigt leicht.
Sekunde 75–90 – Resonante Integration:
Jetzt kommt das an, was die neuroresonant navigierte Intervention initiiert hat. Das System koppelt wieder: Resynchronisation. Der Blick wird präsent, spontane Affektregulation, Wärme. Die Ankoppelung des DMN über Verbundenheit in der therapeutischen Resonanzbeziehung wird spürbar. „Wie schön, du bist da“ ist der soziale Verstärker dieser Integration. Das ist das Window of Resonance – das System schwingt wieder synchron zwischen Therapeutin und Patientin.
Das sogenannte 90-Sekunden-Prinzip ist keine feste neurobiologische Konstante, sondern eine klinische Heuristik, die die Erfahrungen aus der Arbeit mit dem NrPNM widerspiegelt. Sie beschreibt den typischen Zeitrahmen, in dem sich affektive und autonome Prozesse nach einer Aktivierung reorganisieren. Sie spiegelt die beobachtbare Chronometrie emotionaler Reaktionen wider: eine kurze sympathische Spitze, gefolgt von parasympathischer Rückkopplung und präfrontaler Rekalibrierung (Kreibig, 2010; Davidson, 2003; Thayer & Lane, 2000). Innerhalb einer vollständigen Prozessschleife kann es vorkommen, dass zwei oder alle drei Affektsysteme nacheinander oder oszillierend „miteinander“ durch die Resynchronisation laufen.
Diese Mikroarchitektur der Regulation lässt sich klinisch beobachten, anleiten und lehren. Drei Basisübungen haben sich dabei als universell wirksam erwiesen (hier sehr vereinfacht):
FEAR – Halt finden.
Leichte Gewichtsverlagerung auf den Füßen, Schwerkraft spüren, Gleichgewicht suchen (Affektsystem stabilisieren), dann: den Blick um das 50-50-Mittel von Selbst- und Außenwahrnehmung herum stabilisieren (kortikale Einbindung und sanfte aPFC-Öffnung). Das koppelt das Salienz-Netzwerk mit dem FEAR-System: Wahrnehmung wird Orientierung.
RAGE – Energie rhythmisieren.
Druck- und Lösungsbewegung mit den Händen (Affektsystem stabilisieren), begleitend mit innerem Satz: Ich darf da sein und über meine Energie entscheiden. Ich darf Kraft geben – und sie wieder lösen. (Integration Exekutivnetzwerk). Verlangsamung an den Schwellenpunkten (aPFC öffnen, Salienz einbinden). So synchronisiert sich das Exekutivnetzwerk mit dem RAGE-System: Handlung wird Beziehung.
GRIEF – Kontakt halten.
Selbstberührung, sanft bis fest, rhythmisch – Greifen, Streichen, Wärme spüren – Trauer Raum geben (Affektsystem stabilisieren), begleitet von „weichen Ankersätzen“ des Therapeuten: Du bist in Kontakt, du bist da (Anbindung DMN). Das verbindet das Default-Mode-Netzwerk mit dem GRIEF/PANIC-System: Bindung wird innere Präsenz.
In jeder dieser Übungen geschieht das Gleiche: Ein affektives System ruft, ein kortikales System antwortet, der aPFC hält die Resonanz.
Die vollständige Prozessschleife führt durch alle drei Fenster – und wieder zurück: Sie reintegriert die Präsenzerfahrung in die Selbstbeziehung, die Beziehung zu bedeutsamen Anderen und in den Bezug zur Lebenswelt. Denn die Erkenntnisse, die aus verkörperten Synchronisationserfahrungen entstehen, müssen wieder auf die basaleren Tiefungsebenen zurückgebunden werden, um sich zu verankern.
Zurück zum jungen Mann, der im Exekutivmodus gefangen ist:
Im Verlauf der RAGE-Grundübung setzt zunächst eine sympathische Entladung ein – der Körper beginnt zu zittern, zu beben, sich zu schütteln.
Ein Wechsel von Lachen und Weinen durchzieht ihn, Wellen, in denen Anspannung und Lösung sich ablösen.
Dieses Zittern ist kein Kontrollverlust, sondern die somatische Sprache des Systems, das endlich wieder in Resonanz tritt.
Erst danach folgt die parasympathische Entspannungsantwort:
Der Brustkorb beginnt weich zu werden, die Atmung vertieft sich, der Tonus sinkt, die Stimme verändert ihren Klang.
Darauf folgt die narrative Integration fast von selbst. Der Mann beginnt, seine Geschichte neu zu erzählen – nicht mehr hart und erklärend, sondern weicher, tastend, mit Lösung in der Stimme. Seine Worte gewinnen Resonanz, weil der Körper sie wieder tragen kann. Am Ende der Sitzung sitzt er deutlich entspannter, seine Brust fühlt sich frei an. Das System hat nicht gelernt, loszulassen – es hat gelernt, zu antworten.
Physiologisch lässt sich diese Sequenz als Oszillation zwischen sympathischer und parasympathischer Aktivierung beschreiben, in der sich das RAGE-System mit exekutiver Kontrolle neu koppelt – eine neuroresonante Antwortbewegung, die das System aus Fixierung in Rhythmus überführt (Levine, 2010; Porges, 2011).
Das Zittern, das Beben, das Atmen sind keine Symptome der Schwäche und auch keine Out-of-the-Window-Reaktion, wie sie manchmal in karthatischen Entladungen auftritt, sondern die Sprache der Reorganisation. Wenn ein System wieder schwingt, erinnert es sich, wie Präsenz klingt. Und Präsenz ist nichts anderes als der Moment, in dem alle drei Fenster – Toleranz, Resonanz und Präsenz – gleichzeitig offenstehen. Die Tür geht nach innen auf – wir kehren in unsere Mitte zurück. Unser Bewusstsein ruht in Bewegung – wir sind angekommen.
12. Arbeit mit Affekten im NrPNM – Vom Primäraffekt zur Resonanz
Das NrPNM versteht Affekte als Resonanzbewegungen zwischen Körper, Gehirn und Beziehung – als lebendige Schwingungen, die das psychische System in sich selbst halten und verbinden. Es unterscheidet zwischen Primäraffekten, die aus den drei basalen affektiven Systemen FEAR, RAGE und GRIEF entstehen, und Sekundäraffekten, die sich bilden, wenn diese Schwingungen durch Kontrolle, Hemmung oder Überlagerung moduliert werden.
Primäraffekte sind die ursprünglichen, evolutionär verankerten Antwortformen des Systems: Angst orientiert, Wut bewegt, Trauer verbindet. Sekundäre Affekte entstehen, wenn sich diese Bewegungen mit kognitiven oder sozialen Kontrollprozessen verschränken – wenn das System sich schützt, indem es sich selbst verwaltet. Scham, Schuld, Überkontrolle oder Zynismus sind typische Beispiele solcher Sekundäraffekte.
Therapeutisch bedeutet das: Sekundäre Affekte zeigen uns, wo das System seine Integrität zu halten versucht. Der Weg zur Integration führt daher nicht durch Auflösung der Abwehr, sondern durch Resonanz mit ihrem Ursprung. Im NrPNM lesen wir die sekundäre Schwingung, folgen ihr zurück zu ihrem primären Kern – und antworten direkt dort, wo der Körper sie trägt. Erst von da aus – wenn das System auf Primäraffektebene über die Affekt-Kortex-Achse stabilisiert wurde – binden wir die inneren Repräsentanzen sekundärer Verarbeitung ein: wir stabilisieren die bindungsverletzten, desorientierten oder zurückgewiesenen inneren Anteile, bevor wir ihre inneren Beschützer resynchronisieren.
Die Tür geht nicht nur nach innen auf – die Tür geht auch von innen auf.
Diese Arbeit unterscheidet sich grundlegend von klassischen Ansätzen der Abwehrarbeit. In der Psychoanalyse lag der Fokus lange auf der allmählichen Durcharbeitung der Abwehrmechanismen – man arbeitete mit den Kompensatoren der Bewegung, lockerte sie in der freien Assoziation, mit dem Ziel, sie auf reiferem Niveau zu rekompensieren – aber noch ohne unmittelbares Konzept für die primäre Synchronisation der körperlich-affektiven Ebene. Die Innere-Familiensystemtherapie (IFS) brachte hier einen entscheidenden Fortschritt: Sie spricht direkter zum System, würdigt die Abwehr als Schutzinstanz, entlastet sie und öffnet so den Zugang zu den verletzlichen Anteilen. Doch auch sie bleibt in der Logik des Verhandelns: Wir treten mit den „Managern“ in Kontakt, bitten sie, beiseite zu treten, um die unversorgten Affekte zu erreichen. Der Vertrauensaufbau in die Selbstorganisation ist hier stetig und effektiv, aber kleinschrittig.
Das NrPNM erweitert diese Linie prozesslogisch und neurobiologisch. Es versteht die Abwehr nicht mehr als Figur, sondern als Ausdruck einer Dyskopplung der stabilisierenden Resonanzachse. Statt mit den Managern zu verhandeln, erkennt es, welcher Primäraffekt aus der Synchronie gefallen ist – und beantwortet ihn zielgenau und direkt über körperlich-affektive Resonanz. Es spricht mit allen sechs hexagrammatisch organisierten Systemkomponenten in ihrer unmittelbar eigenen Sprache – immer bilingual auf die stabilisierende Resonanzachse ausgerichtet. Wir müssen nicht mehr auf die Zustimmung der Kontrolle warten; wir stellen Resonanz her, und die Kontrolle verliert ihre Funktion. Die Sicherheit entsteht aus der Erfahrung des Mitschwingens – nicht aus dem Argument und der Vertauenswerbung. Die innere Anteilearbeit hat im NrPNM in der Integrationsbewegung ihren festen Platz: wenn die Synchronisierungserfahrung der primären Ebene in die Resonanzebene der Selbstbeziehung rückgebunden wird.
Ein ähnlicher Wandel lässt sich auch in der Entwicklung der Körperpsychotherapie beobachten. Während frühe körperorientierte Verfahren der 1970er-Jahre – etwa die Bioenergetik oder Primärtherapie – noch auf Katharsis setzten, um Spannung zu lösen und Affekte zu entladen, verschob sich der Fokus später hin zu Regulation und Integration. Neuere Ansätze wie Somatic Experiencing, NARM oder Sensorimotor Psychotherapy arbeiten mit fein abgestimmten Resonanzbewegungen: Affekte werden titriert, gehalten und integriert statt entladen. Das NrPNM knüpft an diese Entwicklung an, verfeinert sie jedoch durch eine prozesslogische und neuroresonante Ordnung und ein vollständiges Verständnis der drei stabilisierenden Resonanzachsen. Es bildet körperliche, affektive und kortikale Systeme in einer gemeinsamen Struktur ab und bindet sie in einer Schwingungsbewegung in den Gesamtprozess der psychotherapeutischen Bewusstseinsintegration ein. Die vollständige Prozessschleife im NrPNM durchläuft alle drei Fenster und zurück – Window of Tolerance, Resonance, Presence plus Integrationsschleife. So wird das, was bisher nur in Teilaspekten erfahrbar war, erstmals als integrierte Resonanzarchitektur lesbar.
Körperorientierte Modelle wie NARM und die Polyvagal-Theorie haben die Art, wie wir Psychotherapie machen maßgeblich verändert. Diese Ansätze haben den Körper als Resonanzraum in die Psychotherapie zurückgebracht. Sie leisten Pionierarbeit in der Traumatherapie: Sie hören dem Körper zu, sprechen in seiner Sprache und regulieren über Präsenz, Kontakt und Beziehung. Ihrer Prozesslogik nach bleiben sie dabei vor allem im traumatherapeutischen Feld verankert. Das NrPNM präzisiert die tragenden Achsen der Regulation in ihrer triaxialen und binären Struktur und ordnet sie neuroresonant. Damit öffnet es einen neuen Möglichkeitsraum – es geht einen Schritt weiter: es spricht mit dem Gehirn in der Sprache des Körpers. Es antwortet über die Resonanzachsen, auf denen FEAR, RAGE und GRIEF mit den kortikalen Netzwerken synchronisieren. So wird sichtbar, dass Heilung kein kognitiver oder emotionaler Vorgang ist, sondern eine neuronale Wiederkopplung. Trauma erscheint hier nicht als Sonderfall, sondern als radikale Form des Resonanzabbruchs – ein Bruch, der höchste Achtsamkeit in der therapeutischen Begegnung verlangt. Das NrPNM versteht diese Brüche nicht als Ausnahme, sondern als Konzentration des Prinzips: Wo die Synchronisation am tiefsten reißt, kann Resonanz am tiefsten heilen. Die Bearbeitung von Traumata erfolgt im NrPNM prozessnavigiert über die triaxiale Resynchronisation – sie integriert Körper, Affekt und Kortex entlang der drei Resonanzachsen. Heilung bedeutet dann nicht, das Trauma zu verarbeiten, sondern die Resonanzfähigkeit wiederherzustellen – den Moment zu finden, in dem Körper, Gehirn und Beziehung wieder antworten.
Im NrPNM verschiebt sich auch die Bedeutung des „Selbst“: Im IFS wird das Selbst als zentrale integrierende Instanz konzeptualisiert, die über Selbstqualitäten wie Mitgefühl, Verbundenheit, Offenheit und Ruhe das System integriert und stabilisiert. Im NrPNM wird dieses Konzept prozesslogisch aufgenommen – Selbstkontakt ist weniger Instanz, als ein aPFC-assoziierter Resonanzzustand. Auf neuronaler Ebene spielt aPFC eine zentrale Rolle in der Stabilisierung dieser Qualität. Selbstkontakt entspricht seiner Aktivierung und Integration – als Knotenpunkt, der Salienz-, Exekutiv- und Default-Mode-Netzwerk synchronisiert. Wenn der aPFC offen ist, kann das System gleichzeitig fühlen, denken und antworten. Und in diesem Zustand geschieht etwas Bemerkenswertes: Nicht der aPFC hat Mitgefühl – in ihm wird Präsenz selbst zum Mitgefühl – einem Bewusstseinszustand, der sich aus der Synchronie der drei Resonanzachsen selbst speist. Energie wird zu Wärme, Aufmerksamkeit zu Präsenz und Bedeutung zu existenzieller Verbundenheit.
Affektarbeit ist im NrPNM im Kern Resonanznavigation von innen nach außen und gleichzeitig von außen nach ganz innen. Wir gehen nach innen in die Primäraffektebene, was gleichzeitig ein Außen – den Körper – meint. Wir gehen vom Inneren der primären Affekte nach außen: wir öffnen alle drei Türen und schreiten hindurch – und betreten damit gleichzeitig den innersten Tempel der Seele, die Präsenz. Wir gehen dabei nicht gegen die Kontrolle, sondern dorthin, wo das System Synchronisation braucht. Wir folgen der Schwingung bis zu ihrer Quelle – und lassen sie antworten. Aus Schutz wird Bewegung, aus Kontrolle wird Rhythmus, aus Distanz wird Kontakt. So lösen sich alle Türen schließlich in sich selbst auf. Aber auch das ist Rhythmus, nicht Endpunkt – sondern Atemfluss.
Ein Beispiel: Ekel als Schwellenaffekt – Komplexität in drei Schwingungen
Ekel ist einer der komplexesten Affekte – ein Sekundäraffekt mit hoher Primäraffektladung.
Das bedeutet: In ihm schwingen mehrere affektive Systeme gleichzeitig. Er entsteht, wenn die drei Grundachsen des Bewusstseins – Wahrnehmung (FEAR / Salienz), Wirksamkeit (RAGE / Exekutiv) und Bedeutung (GRIEF / Default Mode) – sich gleichzeitig aktivieren, aber die tragenden Resonanzachsen sind nicht stabil synchronisiert.
Ekel ist ein „Grenzaffekt“, er prüft das System auf allen drei Achsen auf seine Integrität: „Ist das, was ich wahrnehme, was ich tue und wer ich bin, noch sicher?“
Neuroresonant betrachtet, ist Ekel also keine einzelne Emotion, sondern eine multiaxiale Schwingung, in der das System seine Grenzen auf drei Ebenen überprüft:
- auf der Wahrnehmungsachse, ob es etwas verkraften kann,
- auf der Wirksamkeitsachse, ob es etwas zulassen oder abwehren will,
- auf der Bedeutungsachse, ob es mit sich selbst in Resonanz bleibt.
Je nachdem, welche dieser Achsen die Schwingung dominiert, zeigt sich Ekel anders – sensorisch, moralisch oder existenziell.
Gerade deshalb ist er in der Psychologie und Psychotherapie so schwer fassbar und bislang immer wieder sehr mehrdeutig, oft widersprüchlich beschrieben worden. Neuroresonant aufgeschlüsselt wird erkennbar: Er wirkt widersprüchlich, weil er eigentlich dreifach spricht – der Körper will schützen, das Ich will sich abgrenzen, das Selbst will sich nicht verlieren.
Das NrPNM hilft uns, diese Mehrstimmigkeit klarer zu lesen und macht sie therapeutisch leichter zugänglich. Indem wir erkennen, welche der drei instabilen Achsen dominant ist, können wir den gezielten Einstieg in die Resynchronisation finden. Wir gehen nicht gegen den Ekel, sondern sprechen das zentrale System an, das ihn trägt.
Vignette: Ekel als Schwellenaffekt – Drei Zugänge zur Integrität
Eine Patientin berichtet: „Ich ekle mich manchmal richtig vor mir selbst. Ich fühle mich dann wie etwas, das man nicht anfassen darf.“
Im Körper zieht sich ihr Bauch zusammen, der Atem stoppt kurz, der Blick geht nach innen. Ein leises Frösteln durchläuft die Schultern. Die Achse der Bedeutung und Selbstreferenz dominiert die triaxiale Instabilität. Das System ist nicht sicher, weil Kontakt und Verbundenheit nicht als sicher erlebt werden.
Ekel ist hier kein bloßes Symptom. Er ist ein Integritätsaffekt – eine Bewegung des Systems, das seine innere Ordnung überprüft.
Doch weil er alle drei Achsen gleichzeitig berührt, fühlt er sich widersprüchlich und schwer greifbar an: körperlich, moralisch und existenziell zugleich.
Um ihn zu lesen, braucht es Resonanz, nicht Analyse. Der erste Schritt besteht darin, herauszufinden, welche Achse ihn trägt.
- Wenn die Wahrnehmungsachse (FEAR / Salienz) dominiert, spürt man den Ekel körpernah – als Würgereiz, als Enge, als das Bedürfnis, „wegzugehen“.
Zugang: Regulation – Erdung, Atmung, Orientierung.
Therapeutisch: „Lassen Sie den Atem wieder fließen. Balancieren Sie ihren Kontakt zum Boden aus, spüren Sie, dass Ihr Körper sicher ist, während Sie das wahrnehmen.“ - Wenn die Wirksamkeitsachse (RAGE / Exekutiv) dominiert, zeigt sich Ekel moralisch – in Empörung, Ablehnung, dem Impuls, etwas zu verurteilen oder zu reinigen.
Zugang: Klärung – den Impuls verstehen, differenzieren, richten statt bekämpfen.
Therapeutisch: Verbindung mit Kraft, Bewegung und Rhythmus „Beobachten sie wie sich ihre Entscheidung in ihnen bildet, Ja und Nein zu sagen, ihre Energie auszudrücken und mit ihr wieder zurück zu kehren zu sich.“ - Wenn die Bedeutungsachse (GRIEF / Default Mode) dominiert, wendet sich der Ekel nach innen – Selbstekel, Scham, innere Abwertung.
Zugang: Intimität – Mitgefühl, Selbstreferenz, Verbundenheit, Wiederherstellung von Sinn.
Therapeutisch: Verbindung mit körperlichem Selbstkontakt, Berührung, Grenze spüren. Wenn sich dann Trauer aktiviert, Raum geben, bezeugendes Halten des Schmerzes: „Bleiben Sie bei dem Gefühl, – ich bin mit Ihnen hier. Der Schmerz zeigt Ihnen wer sie waren und wer sie sind.“ Hierdurch wird das Affektsystem beantwortet und die selbstreferenzielle und narrative Funktion des Default-Mode-Netzwerks eingebunden.
In allen drei Fällen markiert der Ekel den Punkt, an dem das System sich gleichzeitig schützt und ruft. Wenn wir den primären Affektkern erkennen und ihm resonant antworten, löst sich die Fixierung: Der Körper entkrampft, der Atem wird weich, der Blick öffnet sich. In der weitern Prozessschleife gibt es verschiedene Entwicklungspfade: die beiden anderen Achsen stabilisieren sich möglicherweise mit oder bei der Rekopplung zeigt sich, dass noch eine andere der drei Achsen in eine Synchronisationsbewegung eintritt. Der Prozess folgt dieser Bewegung bis die Synchronisation stabil ist.
Das ist der Moment, in dem Ekel seine ursprüngliche Funktion zurückerhält – nicht Abwendung, sondern Schutz der Integrität. Er ist kein Feind des Prozesses, sondern sein Wächter.
Πάντα ῥεῖ – alles ist Schwingung, alles antwortet
Die Arbeit mit Affekten ist keine Technik – sie ist ein Rhythmus. Jede Sitzung, jedes Atmen, jede minimale Veränderung im Ton oder Blick kann zu einer Resonanz werden, in der das System sich selbst wieder erkennt. Wenn wir im therapeutischen Raum lernen, diese Schwingung zu halten, dann überträgt sie sich. Sie findet Wege in den Alltag, in Beziehungen, in Arbeit, in Schlaf und Stille. So wird aus Prozessnavigation Lebensnavigation – und das, was im Inneren synchronisiert wurde, beginnt außen zu wirken.
Integration heißt dann nicht mehr, etwas „zu verarbeiten“, sondern sich in einer Bewegung ohne Endpunkt einzuschwingen, zu resynchronisieren: im Rhythmus, der sich durch die ganze Arbeit hindurch eingeübt hat.
halten – antworten – verbinden – atmen
Das NrPNM lehrt uns, Therapie als Schwingung zu verstehen, die das Leben selbst in sich trägt. Am Ende dieser Bewegung steht kein neues Konzept, sondern eine Haltung: Therapie wird nicht länger als Eingriff verstanden, sondern als fein abgestimmtes Mitschwingen zwischen Systemen. Das NrPNM zeigt, dass Heilung dort beginnt, wo sich Körper, Affekt und Bewusstsein wieder antworten.
Und vielleicht ist das der eigentliche Boden, auf dem alles steht:
Resonanz ist kein Zustand – sie ist die selbstähnliche Bewegung, in der alles eins ist. Alles ist Schwingung, und heimkommen heißt: Antwort geben auf den Atem des Lebens.
13. Definitionen: Grundbegriffe der neuroresonanten Sprache
Das Zittern, das Beben, das Atmen sind keine Symptome der Schwäche, sondern die Sprache der Reorganisation. Wenn ein System wieder schwingt, erinnert es sich, wie Präsenz klingt. Und Präsenz ist nichts anderes als der Moment, in dem alle drei Fenster – Toleranz, Resonanz und Präsenz – gleichzeitig offenstehen. Die Tür geht nach innen auf – wir kehren in unsere Mitte zurück. Unser Bewusstsein ruht Bewegung. Wir sind angekommen.
Das Neuroresonante Prozessnavigationsmodell (NrPNM) führt eine Sprache ein, die das Zusammenspiel von Gehirn, Körper und Beziehung präzise beschreibbar macht.
Die folgenden Begriffe bilden das Kernvokabular dieser neuen Grammatik – sie übersetzen die Logik von Resonanz, Steuerung und Bewusstsein in klinisch und neurobiologisch anschlussfähige Formeln.
Resonanzkompetenz
Resonanzkompetenz bezeichnet die Fähigkeit, resonanzorientiert zu interventieren und die Interventionsrichtung prozesslogisch einzubinden. Sie wird damit zur Kompetenz, affektive und kortikale Systeme gezielt in Synchronie zu bringen – Resonanz zu erzeugen, zu halten und zu integrieren. Sie ist weniger Technik als Haltung: die geschulte Bereitschaft, Schwellen zu hören und Antworten so zu dosieren, dass sich Kopplung einstellen kann. Und sie ist mehr als Haltung – weil sie prozesslogische Orientierung in resonanzorientiertes Handeln überführt.
Neuroresonanz
Neuroresonanz bezeichnet die Fähigkeit biologischer Systeme, affektive, kognitive und physiologische Prozesse in Schwingung zu bringen, zu synchronisieren und in bewusster Kopplung zu halten. Sie ist kein Zustand, sondern ein Prozess wechselseitiger Abstimmung – eine oszillatorische Selbstorganisation, in der Information nicht linear übertragen, sondern durch Synchronie geteilt wird.
Im Kontext des Neuroresonanten Prozessnavigationsmodells (NrPNM) beschreibt Neuroresonanz die Brücke zwischen Phänomenologie und Neurobiologie: zwischen der Wahrnehmung von Körper und Geist als Resonanzraum der Seele und den Resonanzverhältnissen neuronaler Systeme und Netzwerke, die Bewusstsein ermöglichen.
Zwischen diesen beiden Ebenen liegt keine Kluft, sondern eine Kontaktlinie – ein Übergangsraum, der Übersetzung erfordert. Neuroresonanz will keine neue naturwissenschaftliche Entität oder Messgröße schaffen, sondern eine Sprache für diesen Grenzraum anbieten: eine begriffliche Brücke, auf der sich neuronale Aktivität und erlebte Resonanz begegnen. Sie beschreibt damit das gemeinsame Prinzip, das sich in Nervensystem, Beziehung und Bewusstsein gleichermaßen zeigt – Resonanz als Form des Verstehens.
Kopplungsturns
Kopplungsturns sind die Umschlagmomente in der Sinuslogik des Gehirns – in der rhythmischen Abfolge von Erregung und Entladung, oder funktional gesprochen: von Expression und Rezeption. Der rezeptive Turn bezeichnet den Moment, in dem ein System vom Sprechen ins Zuhören kippt, der expressive Turn den Übergang vom Zuhören ins Sprechen. Diese Schwellen markieren die Fenster, an denen Reorganisation möglich wird. Therapeutisch bedeuten sie den Moment, in dem Steuerung in Resonanz übergeht.
Neuroresonante Interventionen
Neuroresonante Interventionen bezeichnen therapeutische Handlungen, die sich präzise an der binären Architektur, der hexagrammatischen Ordnung und der vertikalen Kopplungslogik des Gehirns orientieren – mit dem Ziel, Synchronie zu ermöglichen statt Kontrolle auszuüben.
Eine Intervention wirkt, wenn sie das System zur Antwort einlädt, nicht wenn sie es drängt.
Sie sind binär in ihrer Struktur, hexagrammatisch in ihrer Ordnung und transzendierend in ihrer Ausrichtung. Sie folgen der Logik der drei Fenster – Toleranz, Resonanz und Präsenz – und berücksichtigen die neurobiologischen Kopplungsprozesse, die Timing, Richtung und Intensität bestimmen.
Duale kortikale Organisation der Bewusstseinsemergenz
Die duale kortikale Organisation der Bewusstseinsemergenz beschreibt Bewusstsein als Antwortfeld zwischen zwei Resonanzsystemen – dem affektiven Körper und dem kortikalen Geist. Was wir erleben, entsteht aus ihrem Dialog: Bewusstsein ist die Schwingung wenn Affekt ruft und der Geist antwortet.
Neuroresonante Integration
Neuroresonante Integration bezeichnet den Prozess, in dem affektive, kognitive und relationale Systeme in eine gemeinsame Schwingung übergehen – und der Erfahrungssinn, der aus dieser Co-Präsenz entsteht, wieder an die innere Narration (Selbstbeziehung) sowie an die inneren Beziehungs- und Lebensweltrepräsentanzen rückgebunden wird. Sie ist die vertikale Bewegung des Bewusstseins – vom Körper über den Affekt zur Bedeutung. In ihr verbinden sich Regulation, Klärung und Intimität zu Präsenz.
Resynchronisationskompetenz
Resynchronisationskompetenzentsteht, wenn durch präzise neuroresonante Prozessnavigation selbstorganisierte Rekopplungsbewegungen ermöglicht werden. Sie bildet das integrative Kernziel des Neuroresonanten Prozessnavigationsmodells (NrPNM): das Wiederherstellen und Halten kohärenter Schwingung – zunächst im therapeutischen Raum, dann im Alltag. Resynchronisationskompetenz ist weniger ein Zustand als eine Bewegung: die erlernbare Fähigkeit, Kopplungen wahrzunehmen, Schwellen zu erkennen und Antworten so zu gestalten, dass sich Synchronie von selbst erneuert. In ihr verbindet sich die neurobiologische Ebene der Kopplung mit der klinischen Ebene des Integrationsfokus als Praxis der Selbstorganisation.
Diese Begriffe verdichten das, was das NrPNM im Kern beschreibt:
Es ist keine neue Technik, sondern eine neue Sprache – für das, was zwischen Gehirn, Körper und Beziehung geschieht.
14. Forschungsperspektive – Vom Prozess zur Resonanz
Das Neuroresonante Prozessnavigationsmodell (NrPNM) schlägt eine Brücke zwischen klinischer Erfahrung und empirischer Messbarkeit, indem es Kopplungsturns als therapeutisch entscheidende Schwellenpunkte beschreibt.
Daraus ergeben sich drei zentrale Forschungspfade, die Prozess und Resonanz erstmals gemeinsam untersuchbar machen.
(1) Herzratenvariabilität (HRV) und verwandte Indikatoren
HRV-Muster können als physiologische Marker für Resonanzfenster dienen.
Beobachtbar sind vagale Entspannungsreaktionen im Toleranzfenster, flexible Atem- und Stimmrhythmen im Resonanzfenster und eine ruhige, weite Kohärenz im Präsenzzustand (Thayer et al., 2009).
Hypothese: Resonanzkohärenz besitzt ein HRV-Profil, das sich systematisch von Out-of-Window-Zuständen unterscheidet.
(2) Hyperscanning (EEG / fNIRS)
Hyperscanning-Methoden ermöglichen die Erfassung dyadischer neuronaler Kopplung an therapeutischen Schwellen (Dumas et al., 2014; Hasson et al., 2012).
Im Fokus stehen der rezeptive Turn (Übergang vom Sprechen ins Zuhören) und der expressive Turn (vom Zuhören ins Sprechen).
Erwartung: phasen-synchrone Muster zwischen Patientin und Therapeutin – differenzierbar nach symmetrischer (beide öffnen oder antworten), komplementärer (eine*r öffnet, der / die andere antwortet) und sequentieller Kopplung (Turn A triggert zeitversetzt Turn B).
(3) Mikro-Annotation im Therapieraum
Durch präzise Kodierschemata lassen sich somatische Marker (z. B. Seufzer, Blickweitung, Schultersenkung), prosodische Marker (Sprechtempo, Pausen, Melodie) und semantische Marker (Einladungen vs. Direktiven) zeitlich erfassen und mit vermuteten Netzwerkzuständen korrelieren.
Erst das Zusammenspiel aus klinischer Mikro-Phänomenologie und zeitlich präziser Messung kann zeigen, dass Kopplungsturns nicht nur spürbar, sondern objektiv erkennbar sind.
Das PNM und das NrPNM als schulenintegrative Metamodelle
Das Prozessnavigationsmodell (PNM) und sein neuroresonantes Pendant (NrPNM) verstehen sich nicht als neue Therapieschule, sondern als schulenübergreifende Navigationsrahmen.
Beide Modelle sind in der Prozesslogik verankert und damit offen für alle Ansätze, die ihre jeweilige Methodik resonanzlogisch verfeinern wollen.
Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologie, Systemik oder Gestalt – jede Richtung kann ihre Technik in den Prozess der Synchronisierung und Präsenz einordnen, ohne ihr Fundament zu verlieren.
Das Ziel ist keine neue Richtung, sondern eine gemeinsame Sprache – für Kopplung, Synchronie und Bewusstsein.
14. Scope & Limitation – Prüfauftrag und Beweglichkeit des Modells
Das Neuroresonante Prozessnavigationsmodell (NrPNM) versteht sich als theorieintegratives, klinisch abgeleitetes Metamodell. Sein Anspruch ist nicht, alle neuronalen Mikroprozesse im Detail zu kartieren, sondern jene Dynamiken zu beschreiben, die phänomenologisch erfahrbar und therapeutisch relevant sind. Der Fokus liegt auf der Schnittstelle von Beziehung, Affekt und neuronaler Synchronie – dort, wo das Erleben in Bewegung übergeht.
Das Modell erhebt keinen Anspruch auf neurobiologische Totalität, sondern auf Übersetzbarkeit: von klinischer Intuition in neuroresonante Struktur, von gelebter Erfahrung in nachvollziehbare Prozesslogik. Seine Stärke liegt nicht in der Abgeschlossenheit, sondern in der Offenheit – es ist eine Architektur in Bewegung.
Empirisch bleibt ein Prüfauftrag: Die Kopplungsturns und Resonanzfenster, die das Modell klinisch präzise beschreibt, gilt es neurophysiologisch zu validieren – etwa durch die Korrelation von Markerarbeit, Synchronieparametern und Therapieoutcomes. Sollte sich zeigen, dass bewusste Arbeit mit Timing und Resonanz keine messbare Verbesserung bringt, wäre der Anspruch zu revidieren. Gerade darin liegt seine wissenschaftliche Redlichkeit: Es lädt zur Überprüfung ein.
Der eigentliche Wert des Modells liegt in seiner Vermittlungsleistung: Es schlägt eine Brücke zwischen Neurobiologie, Prozessforschung und therapeutischer Kunst. Es ordnet, ohne zu fixieren, und öffnet, ohne zu verlieren – ein Modell, das sich selbst in Resonanz hält.
16. Didaktische Implikationen – Lehre, Supervision und Verkörperung
Das NrPNM verändert nicht nur, wie wir Therapie verstehen, sondern wie wir sie lehren. Es verschiebt den Fokus von methodischer Vermittlung hin zu einer Resonanzdidaktik – einer Ausbildung, die Körper, Stimme, Wahrnehmung und Timing als Elemente professioneller Kompetenz begreift.
Prozesskompetenz bildet das Fundament: das Navigieren zwischen Regulation, Klärung und Intimität, das Erkennen von Schwellenpunkten und das Halten der resonanten Rollen – Haltende, Sortierende, Bezeugende.
Resonanzkompetenz entfaltet die Feinmechanik und bindet sie prozesslogisch ein: die Wahrnehmung eigener Fenster, das Erkennen und Beantworten von Kopplungsturns, die Feinabstimmung von Stimme, Atem und Semantik.
Neuroresonante Interventionen schließlich erweitern das therapeutische Repertoire: Sie definieren sich durch präzise Orientierung an der binären Architektur, der hexagrammatischen Ordnung und der Kopplungslogik des Gehirns – an den Implikationen der drei Fenster für Timing, Richtung und Balance der Intervention.
In der Supervision wird Resonanz selbst zum Medium. Die Supervisor*in wird Spiegel des Prozesses: Schwellen markieren, Übersehungen benennen, Kopplungsantworten kalibrieren. Ein typischer Moment: „Hier kam ein Seufzer – das war der rezeptive Turn. Du hast ihn übersprochen. Wie hättest du ihn halten können?“ Lernen wird körperlich, hörbar, konkret.
Für die Lehre lassen sich daraus didaktische Formate ableiten – keine Methoden im engeren Sinn, sondern Resonanzräume des Lernens:
– Modellverständnis und Prozesskompetenz (Navigation zwischen Tiefungsebenen)
– Matrixübungen zu Zuständen, Kopplungen und Rollen
– Aufstellungen der sechs Systeme im Raum
– Neuroresonante Interventionspraxis in Echtzeit
– Prozesskompetente Behandlungsplanung mit PNM und NrPNM
Diese Formate bilden eine Progression – vom kognitiven Verstehen zur verkörperten Navigation. Lehren wird zu Halten, Lernen zu Mitschwingen. So entsteht Ausbildung als Resonanzprozess zwischen Lehrenden und Lernenden, zwischen Lernenden und dem therapeutischen Prozess selbst.
17. Fazit – Ein verkörperter Humanismus
Das NrPNM führt in einen verkörperten Humanismus. Es zeigt, dass Resonanz nicht nur Beziehung meint, sondern Haltung, Bewusstsein und biologische Realität zugleich. Über die Architektur der drei Fenster – Toleranz, Resonanz, Präsenz – lernen wir, die Mitte zu halten: die lebendige Balance zwischen Steuerung und Hingabe.
Resonanz ist der Raum dazwischen.
Prozesslogisch und neuroresonant verankert, bewahrt sie uns vor Steuerungslosigkeit – und davor, das Lebendige durch Kontrolle zu ersticken. In ihr entsteht jene emergente Qualität, die wir Leben nennen: die Fähigkeit, sich selbst zu synchronisieren, Bedeutung zu gestalten und Sinn in Beziehung zu verwandeln.
In dieser Perspektive ist der Mensch nicht Objekt einer Technik, sondern Teil eines biologisch eingebetteten Prozesses der Sinnschöpfung. Das Gehirn steuert nicht – es antwortet. Es denkt nicht, um zu kontrollieren, sondern um zu verbinden. Es ist kein Befehlszentrum, sondern ein Resonanzorgan – fähig, sich selbst zu spüren, indem es in Beziehung tritt.
Diese Ontologie der Resonanz verbindet das Humane mit dem Neurobiologischen. Kooperation ersetzt Dominanz, Synchronie ersetzt Kontrolle, Beziehung ersetzt Isolation. So wird das Gehirn lesbar als das, was es immer war: das Organ des Mitseins – biologisch, seelisch, existenziell.
Das Gehirn denkt nicht, um zu steuern – es schwingt, um zu verbinden.
Und genau darin liegt die Zukunft der Psychotherapie: nicht im Machen, sondern im Mitschwingen.
Nachwort zur Resonanz
Am Ende bleibt kein Modell, nur Bewegung.
Resonanz ist kein Zustand – sie ist die Sprache, in der das Leben antwortet.
Wer ihr zuhört, hört den Rhythmus, in dem Bewusstsein entsteht.
Und vielleicht ist das die einfachste aller Wahrheiten:
Wir heilen nicht, weil wir verstehen –
wir heilen, weil wir mitschwingen.
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